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daniamarthaler

Lache! Was anderes bleibt dir nicht.


Letztes Wochenende war es – endlich! – wieder so weit: das TAMA, Tanz- und Malwochenende für Frauen, fand statt! Ich wusste, dass ich nicht werde Tanzen können. Wie soll ich tanzen, wenn ich keine 100 Meter am Stück laufen kann? Aber Malen! Malen kann ich! Voller Vorfreude packte ich meine Siebensachen: Leinwände, Gipsbandagen und Wolle und Nespresso-Bastelzeug für zwischendurch, wenn Sitzen zu anstrengend wird. Alles ins Auto rein. Mein Mann half mir, trug meine 100x160 cm grosse Leinwand nach draussen und fragte: „Schatz, fährst du mit dem grossen Auto?“ Ich: „Nein, hatte ich nicht vor, warum?“ Er: „Naja, dann fährst du wohl mit offener Heckklappe?“ Ich: „Nein, hatte ich nicht vor, warum?“ Er: „Ach, nur so“, und schob die Mega-Leinwand in den Mini. Ich noch kühn: „Die passt da loooocker rein!“ Er: „M-hmm“ und schob weiter. Ich nahm dann das Familienauto, da ging die Heckklappe gerade so eben zu.


Das TAMA fand im Appenzell statt, weswegen ich, da der Weg über St. Gallen führte und ich meiner guten, lieben Freundin faktisch durch das Wohnzimmer fuhr, es mir nicht nehmen liess, sie und ihre drei süssen Kinder zu besuchen. Ja, es war mir klar, dass die lange Autofahrt mich viel Kraft kosten würde. Ja, es war mir klar, dass mich ein Besuch bei ihr ebenfalls viel Kraft kosten würde. Aber ich wollte es trotzdem genauso machen: selber fahren und sie besuchen. Myalgische Enzephalomyelitis, du kannst mich mal! Und es war ein ganz wunderbarer Nachmittag! Die Kids zeigten sich von ihrer besten Seite – ich nehme mal an, dass sie nicht immer so folgsam und ruhig sind – und wir konnten schwatzen und lachen. Ich war tiefenentspannt und konnte es einfach nur geniessen. Deswegen blieb ich länger, als ich eigentlich vorgehabt hatte. Schön war, dass ich deshalb ihren Mann auch endlich wieder einmal gesehen habe, unschön, dass meine Akkuladung schon bedenklich tief gesunken war, als ich meinen Weg fortgesetzt habe. In den folgenden 20 Minuten war ich vermutlich die weltschlechteste Autofahrerin – die Männer werden jetzt denken, och, kann nicht sein, da hat’s doch sooooo viel Konkurrenz – aber ich bin heil im Hotel angekommen. Ich habe mich sofort ins Zimmer zurückgezogen, um vor dem offiziellen Start ins TAMA noch eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Leider war ich viel zu aufgekratzt und musste mich mit Ruhen statt Schlafen begnügen.

Beim Apéro liess ich mich von der guten Stimmung hinreissen und trank ein viertel (oder doch ein halbes?) Glas Prosecco mit. Mmmh! Der schmeckte ja so lecker! Die sich verstärkenden Symptome ignorierte ich. Nach dem Abendessen musste ich mich wiederum zurückziehen, wollte aber eine gute Stunde später nochmal ein bisschen mitspielen und setzte mich wieder zu der lustigen Frauenrunde. Wir haben viel gelacht und viel geschwafelt, es war herrlich! Um elf bin ich ins Bett.


Am nächsten Morgen konnte ich kaum aufstehen. Ich brauchte lange, um einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen und nach dem Frühstück musste ich mich wieder hinlegen. So hatte ich mir das TAMA nicht gerade vorgestellt, gopf! Jänu.


Kurz vor der Mittagspause gesellte ich mich wieder dazu. Ich wollte es mir nicht nehmen lassen, bei dem stets wunderschönen Beginn der Malsession dabei zu sein. Die Leiterin für’s Malen hatte viele Postkarten auf dem Boden ausgestreut, auf denen Worte standen wie ‚Dankeschön‘, ‚Freude‘ oder ‚Mut‘. Wir sollten alle eine oder zwei aussuchen und, wenn man wollte, etwas dazu sagen. Mir schnürte es beim Anblick dieser Postkarten den Hals zu, so viele Emotionen, die sich Bahn brechen wollten. Ich hätte zu jedem Stichwort etwas sagen können und die Erkenntnis, wie viele verschiedene Gefühle ich in den letzten 18 Monaten, seit ich krank geworden bin, erlebt habe, traf mich wie ein Schlag mit dem Baseballschläger. Die ganze Zeit über, in all den Monaten, war ich traurig über das, was ich NICHT erlebt habe. Ganz ohne zu merken, was ich STATTDESSEN erleben durfte. Alle diese Emotionen, die auf den Kärtchen standen, diese und noch viele, viele mehr, erlebte ich in einer Intensität, wie es vielleicht nicht vielen Menschen in so kurzer Zeit vergönnt sein dürfte. Aber ich war viel zu beschäftigt damit, um mein altes Leben zu trauern, als dass ich die Schönheiten, die dieses neue Leben mir geschenkt hat, als solche hätte begreifen können.


Ich war die Letzte, die sich noch kein Kärtchen ausgesucht hatte. Um Fassung ringend sagte ich, dass ich keines möchte. Ich konnte mich nicht entscheiden. Was war denn nun das richtige, das wichtigste Stichwort? Ich hörte den anderen zu, die ihre gewählten Postkarten erklärten. Ich nahm viele Gefühle der anderen wahr; Freude, Dankbarkeit, Erleichterung über eine durchlebte Krise. Eine Lehrerin sagte: „Ich habe gerade eine liebe Klasse. Im Chor, in dem ich singe, sind wichtige Stellen endlich wieder besetzt, es läuft!“ Und ich dachte: „Bei mir läuft’s grad nicht so.“ Völlig verwundert nahm ich zur Kenntnis, dass dieser Satz absolut wertefrei durch mein Hirn geflattert ist, ohne Bitterkeit, ohne Eifersucht. Es war nur eine Feststellung. Als ich an die Reihe kam, musste ich gegen meine Tränen ankämpfen, es waren schlicht zu viele Emotionen auf einmal. Ich versuchte mich mit einem Witz zu retten: „Mir fehlt ein Kärtchen, deshalb konnte ich leider keines nehmen.“ Die Leiterin bot mir ein leeres Kärtchen an, worauf ich mein Stichwort schreiben könne. Ich lehnte ab, es war ja nur als Gag gemeint. Ich antwortete: „Mir fehlt das ‚gspührsch-mi-fühlsch-mi-Kärtchen‘!“ Das avancierte in den letzten TAMAs etwas zu unserem Gruppen-Running-Gag, denn unsere Männer zu Hause denken grösstenteils, dass es sich genau darum handelt beim TAMA. Was natürlich völliger Blödsinn ist. Wir malen. Wir tanzen. Daneben lachen wir und erzählen uns gegenseitig Anekdoten und Anekdötchen aus unseren Leben. Fertig. Nix Bäume-umarmen. Nix gspührsch-mi-fühlsch-mi. Dafür haben wir an dem kurzen Wochenende nämlich überhaupt gar keine Zeit. So.


Jedenfalls entschied ich mich plötzlich doch noch für ein Kärtchen: ‚Lachen‘. Das war nämlich genau das, was für mich immer schon der Kern der TAMA-Gruppe ausgemacht hat. Wir, zwölf unterschiedliche Frauen, mit unterschiedlichen Biographien und unterschiedlichen Interessen, hatten mindestens eines gemeinsam: wir konnten miteinander lachen, einfach so. Immer wieder auf’s Neue und die Gemeinschaft stimmte in all den Jahren, auch wenn wir uns nur einmal im Jahr für drei Tage sahen, waren wir uns immer nahe.


Nachdem ich mein Kärtchen zu erklären versucht habe, hatte ich einen Crash. Den Rest des Wochenendes verbrachte ich mehrheitlich in meinem Zimmer. Gemalt habe ich nicht. Getanzt auch nicht. Gelacht aber schon. Wann immer ich mich kräftig genug gefühlt habe, mein Zimmer zu verlassen, fand ich jemanden, mit dem ich lachen konnte. Meine Schwäche musste mir in dieser Gruppe keine Sekunde peinlich sein, niemand gab mir das Gefühl, schwach zu sein. Ich erfuhr tiefe Freundschaft von Frauen, die ich mehrheitlich nur einmal im Jahr sehe. Sie schleppten mich während des Crashs zurück in mein Zimmer; sahen mehrfach nach mir; holten mir meine Gehstöcke und etwas zu trinken aus dem Auto; nahmen mich in den Arm, wenn mich die Traurigkeit übermannte; räumten mein Geschirr ab und vor allem: sie behandelten mich alle völlig normal. Ich musste kein einziges Mal in ein mitleidiges Gesicht blicken, das mir das Gefühl gegeben hätte, mein Gegenüber trösten zu müssen oder so doofe Sachen wie „wird schon wieder“ sagen zu müssen. Denn vielleicht wird’s nicht mehr.


Als ich wieder zu Hause war, ging es mir vier Tage sehr schlecht. Ich konnte kaum das Bett verlassen. Heute, der erste einigermassen gute Tag, merke ich, was mir das diesjährige TAMA gebracht hat: Ich kann wieder Blödsinn machen mit meinen Kindern. Ich kann lachen. Ich fühle mich locker-leicht, auch wenn mein Körper Faxen macht. Ich konnte den Crash dieses Mal, das erste Mal, ohne Tränen der Wut und des Frusts annehmen. Nur ein paar Tränen der Erschöpfung musste ich zu Beginn vergiessen. Ich erfreue mich des Lebens. Ich erfreue mich an meinen Liebsten.


Das Wochenende hat mir auch die endgültige, tiefe Wahrheit gebracht, dass mein Zustand nicht mental verursacht sein KANN (daran habe ich nämlich trotz besserem Wissen immer mal wieder gezweifelt) sondern physisch sein MUSS: das TAMA war mir immer heilig, ich liebte es, die stille ‚Gschaffigkeit‘ in der Gruppe zu erleben, die Kreativität der anderen zu fühlen und ich liebte es, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Es gab nichts, das mir nicht gefallen hätte an diesen Wochenenden (ausser vielleicht ab und an die Menüwahl). Es wäre schlicht unlogisch, von einem ‚Krankheitsgewinn‘ zu sprechen, was für eine psychische Ursache meiner Krankheit sprechen würde, denn an diesem Wochenende hat mir meine Krankheit ausschliesslich Verluste eingebracht. Wer will schon im Zimmer hocken, wenn man stattdessen lachend, malend und tanzend durchs Leben spazieren kann? Und noch eine Erkenntnis hat mich getroffen: Ich kann nicht so tun, als ob ich nicht krank wäre, als ob ich nicht ME-Fazilla durch mein Leben schleppen würde. Ich bin krank, manchmal sehr schwer, manchmal aber geht’s auch locker-leicht und Tante Inge hält einfach ein bisschen meine Hand.



Barbara Klaus' Meisterwerk von dem diesjährigen TAMA. Von den Meisterwerken der anderen Teilnehmerinnen habe ich leider keine Fotos, weil ich vorzeitig den Rückzug antreten musste.

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